Eigentlich wollte ich mir in den vergangenen Wochen die Programme der Parteien für die Wahl der Hamburgischen Bürgerschaft anschauen und hier vorstellen, aber sich stellte zunehmend fest, dass ich in den letzten Monaten/Jahren an den Positionen nichts geändert hat. Ob man das nun für gut oder schlecht befindet, sei mal dahingestellt. Positiv war jedoch die Meldung der Handelskammer, dass sich die Akteure parteiübergreifend an einen Tisch setzen sollen, um einen Verkehrsfrieden einzuleiten, damit man sich die nächsten Jahre und Legislaturperioden endlich mit den Ausbau der Infrastrukturen beschäftigen kann statt alle vier (bzw. bald fünf) Jahre von vorne anzufangen.
Flughafen Fuhlsbüttel, Kaltenkirchen, Parchim, Nordholz oder Posemuckel
Witzigerweise haben die Parteien mit Ausnahme der Linken einen Konsens bei einem Thema gefunden, wo sie völlig auf dem Holzweg sind und mit Symbolik um sich werfen, um Bürgerinitiativen zu beruhigen. So einigten sich SPD, Grüne, CDU und FDP darauf, den Lärmschutzbeauftragten vom Flughafen Fuhlsbüttel zu stärken. Was heißt das? Er hat nun ein Büro bzw. einen Arbeitstisch am Flughafen. Zudem gibt’s für ihn mehr „Mitspracherechte“, was bekanntlich ein Euphemismus für fehlende Mitentscheidung ist. Ob man zumindest die Landeanflüge verlängert, um für etwas mehr Ruhe zu sorgen, ist ungewiss. Man will es sich nach der Wahl nochmal anschauen. Ich hab’s ja sonst mit vielen Bürgerinitiativen nicht so, aber dass sich die Anwohner verarscht fühlen, kann ich da sehr gut nachvollziehen. Mehr im Abendblatt (klick mich)
Früher oder später wird man sich wohl im Rathaus fragen müssen, ob man städtischen Boden mit Milliardenwert bei steigender Einwohnerzahl wirklich für zwei Landebahnen reservieren muss, um über 100.000 Anwohner mit zunehmenden Lärm ausgesetzt im Regen stehen zu lassen, während potentielle Steuerzahler ihr Glück im Umland suchen. Möglichkeiten gibt’s ja mehr als genug. Das könnte eine Teil-Verlagerung nach Kaltenkirchen sein, wo Hamburg schon genug Flächen hat. Teil-Verlagerung deshalb, weil es durchaus kein Problem wäre, die Menschen in den fertigen Terminals in Fuhlsbüttel zu empfangen, abzufertigen und mit einer Schnellbahn ein paar Kilometer in den Norden zu befördern. Für Reparaturzwecke kann auch eine (gekürzte) Landebahn erhalten bleiben und gelegentlich angeflogen werden. Drei Maschinen am hellichten Tage stören niemanden und Arbeitsplätze (für die teilweise Millionen investiert wurden) bleiben erhalten, während man nicht alles neu in Kaltenkirchen hochziehen muss. Die ganzen Probleme, die andere neue Flughäfen haben (*hust* Brandschutz BER *hust*), wären gar kein Thema. Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten. Man stelle sich doch nur einen 24/7-Betrieb (Pax und Fracht!) in Parchim vor. Landebahn schon da, Autobahn sowie ICE-Anschluss in der Nähe, Anwohner gibt’s kaum und Erweiterungen wären unproblematisch, zumal sich die Region sicherlich über Arbeitsplätze freuen würde. Oder Hamburg kooperiert mit Bremen, um in Nordholz einen gemeinsamen Flughafen für Billigflieger zu betreiben, während Geschäftskunden weiterhin Fuhlsbüttel nehmen. Durch die Weiterführung der A20 und A26 wird das auch nicht mehr so abenteuerlich erscheinen wie heute, wenn man es mal den Raum ganzheitlicher betrachtet. Dass das norddeutsche Flughafenkonzept gescheitert ist, wissen wir ja nicht erst seit Lübeck-Blankensee pleite ging, Rostock-Laage immense Finanzprobleme hat und der ebenfalls innerstädtische Flughafen Bremen an seine Kapazitäts- und Erweiterungsgrenzen stößt. (Abgesehen davon war das damalige Gutachten, das sich vor wenigen Jahren gegen eine Verlagerung Fuhlsbüttels aussprach, voller methodischer Fehler und hanebüchenen Schein-Argumenten. Ob das aus Gefälligkeit geschah oder Pfusch, ist dann auch egal.)
Busbeschleunigung
Ich erwähnte ja schon Initiativen, die mir ansonsten eher gegen den Strich gehen. Und dazu gehören Initiativen, die beispielsweise gegen das Busbeschleunigungsprogramm sind und aus allen Ecken Hamburgs kommen — nur nicht aus jenen, in denen das besagte Programm durchgeführt wird. Dabei kommt dann sowas bei rum:
Vanessa Rathje ergriff dort gleich mehrfach die Gelegenheit, die Probleme des Hutfachhandels zu erläutern. Was die Verteidiger des Busprogramms hatten vorbringen wollen, blieb unklar, interessierte aber wohl auch nicht viele.
Stimmt es, dass die Fachleute niedergeschrien wurden, Frau Rathje? „Teilweise schon.“
Zeit.de (klick mich)
Im Artikel geht’s primär um ein Hutgeschäft, das es bisher gewohnt war, dass ihre Kunden auf der Straße „parken“. Dabei kennt sie die StVO gar nicht, wonach auch ein dreiminütiges Parken nicht erlaubt ist, sondern nur ein Stehen. Der Unterschied ist: Beim Stehen muss der Fahrer im Auto bleiben. Shoppen geht gar nicht. Nicht 30 Sekunden und erst recht nicht 30 Minuten mit dem Argument (wtf?), dass man doch für einen Friseurbesuch auch länger brauche. Was ist das denn für eine Wahrnehmung? Es ist okay alle Verkehrsteilnehmer zu blockieren, weil die Kunden nicht noch 50 Meter weiter um die Ecke fahren sollen, um einen normalen Parkplatz aufzusuchen? Und um das beizubehalten, brüllt man Menschen an, die Zeit investieren, um die Pläne zu erklären und Vorurteile/Befürchtungen zu beseitigen?
Stattdessen brüllt man im Chor, dass das Programm Geldverschwendung sei. Ich hab ja nun wirklich mit vielen Menschen aus ganz Deutschland über das Programm gesprochen. Jeder war der Meinung, dass es notwendig sei, da bekannt ist, dass im letzten Jahrzehnt nur von der Substanz gelebt wurde und man kurzfristige Maßnahmen erstmal benötigt, um einen bevorstehenden „Verkehrsinfarkt“ abzuwenden, da eine schienengebundene Alternativen nun einmal nur mittel- bis langfristig umzusetzen ist und ja auch kommen soll
Und die überragende Mehrheit war sogar verblüfft, wie man mit wenigen Finanzmitteln solche Kapazitätssteigerungen von bis zu 25% auf einigen Abschnitten erreichen kann, da die Umläufe immens runtergehen durch die erhöhten Reisegeschwindigkeiten, sprich, man mit der selben Anzahl an Fahrzeugen (und gleichzeitig reduzierter Pulkbildung) deutlich mehr Menschen befördern kann. Aber im Hutgeschäft heißt’s wohl nur „250 Mio. Euro für sechs Minuten?“. Dass die sechs Minuten pro Jahr und Nase mehr als eine Arbeitswoche sind, dass die lediglich die Linie M5 betreffen (die weniger als 30 Mio. davon ausmacht), dass viele Straßensanierungsarbeiten (z.B. am Pflaster) sowieso fällig geworden wären, dass neben Bussen auch Radfahrer, Fußgänger und ja, man glaube es kaum, Autofahrer profitieren… interessiert ja nicht. Vorm eigenen Geschäft soll nicht mehr geparkt werden, sondern die Fußgängerwege aufgewertet, um die Ecke einladender zu machen. Aber die Unterstützung aus Walddörfern und Elbvororten ist natürlich gewiss, genau wie aus Eppendorf. Da beschwert man sich ja auch, dass Fahrräder teilweise an Geländern angeschlossen werden, wo sie nicht hingehören, während man aufschreit, wenn aus fünf Autoparkplätzen 100 Fahrradstellplätze werden, aber man sich gleichzeitig freut, wenn mehr (die anderen natürlich!) Leute Rad fahren, man seltener als früher Parkplätze suchen muss und der Stau zurückgeht; falls die böse Stadt nicht wieder Straßenbau betreibt. Die BILD war auch schon empört, dass 100 von 4.000 Kilometern pro Jahr saniert werden und verstand die Welt nicht mehr. Dass man da Millionen ausgibt, um sichere Verkehrswege zu gewährleisten, sehen die nicht, sondern halten Baustellen für Willkür und Schikane gegen Autofahrer, um sie zu mobben. Auch so eine interessante Wahrnehmung. Und dass nun im Winter nicht saniert wird (außer es ist dringend), sah man natürlich als Wahlkampfmanöver der Politik (obwohl’s Verwaltungsaufgabe ist), obwohl es jeden Winter so aussieht und eigentlich einem Menschen einleuchten sollte, der volljährig ist und vom Staat die Fahrerlaubnis bzw. einen Führerschein bekam. Wie auch immer. Man hat neben Busbeschleunigung und notwendigen Straßenarbeiten wohl sonst nichts am Senat zu beanstanden. Fast schon beängstigend.
Politik ist trickreich. Aber BILD lässt sich nicht täuschen. Auch wenn dieses Jahr bis Weihnachten noch satte 50 Baustellen fertig werden: Autofahrer, freut euch nicht zu früh! Nächstes Jahr wird‘s noch gnadenloser auf unseren Straßen. […] CDU-Mann Hesse schnaubt: „Klar ist: Die richtigen Grausamkeiten kommen nach der Wahl. Das auf den nahenden Winter zu schieben, ist eine faule Ausrede. Das ist schlicht Scholz‘sche Taktik.“
Bild.de (klick mich)
Und nun soll es tatsächlich einen millionenschweren Volksentscheid geben. Da es wohl eh 2016 wird, bis die Fristen alle durch sind und ggf. genug Stimmen gesammelt wurden, käme das Referendum eh erst parallel zur Bundestagswahl Ende 2017. Da wird das Programm aber weitestgehend abgeschlossen sein. Wieso man erst jetzt, wo große Teile fertig sind, anfängt zu protestieren, bleibt wohl ein großes Geheimnis der kritischen Wutbürger. Auch sehr amüsant, dass die CDU auf die Seite des Protests springt, obwohl sie ein fast identisches Busbeschleunigungsprogramm Ende 2010 für den damaligen Wahlkampf vorstellte, nachdem Ahlhaus als zweiter CDU-Bürgermeister innerhalb von zehn Jahren die Stadtbahn beerdigt hat. Aber „Grausamkeiten“ sind die Beseitigungen von Schlaglöchern sowie das Auftragen von Flüsterasphalt an Hauptstraßen, wo eine Temporeduzierung zwecks Senkung der Lärmemissionen nicht verhältnismäßig wäre. Da fühlt man sich als Bürger doch gut volksvertreten.
Stadtbahn, U4 und U5
Tja, hier kommt man auch nicht weiter. Die SPD hat ihre Pläne zwar etwas weiter konkretisiert und alles scheint recht nahvollziehbar. Die U5 wird demnach sowieso bis mindestens Siemersplatz verlaufen. Und entweder geht’s von dort gen Westen nach Osdorf oder, als Variante B, wird die U5 (wie man es von der U1 im Nordosten kennt) als Ast ausgefädelt. Die Altona-Variante ist dann erstmal vom Tisch, auch wenn die Variante B ggf. am zukünftigen Fernbahnhof Diebsteich vorbeilaufen könnte, was recht attraktiv erscheint, zumal der Stummel bis Siemersplatz in ferner Zukunft nach Eidelstedt, Schnelsen oder Fuhlsbüttel verlängert werden könnte. Das hängt natürlich davon ab, wie sich Hamburg entwickelt und ob es wie die letzten Jahre wächst. Aber es wäre töricht, sich jede Option einer Verlängerung zu verbauen.
Gleichzeitig gab es seitens eines Hamburger Forschers nun die Option, die U4 über die alte Wilhelmsburger Reichsstraße zu führen, quasi als eine Art U-Bahn auf Straßenbahntrasse. Das klang aus Kostengründen ganz nachvollziehbar, auch wenn vergessen wurde, dass für solche Stromabnehmer erst noch neue Fahrzeuge anzuschaffen sind und nicht systemkompatibel mit den anderen Strecken wären. Aber das könnte man in Kauf nehmen, wenn man bedenkt, dass man a) keinen Tunnel bohren muss und b) die Strecke bereits im öffentlichen Besitz. Auch Errichtungen von Bahnhöfen wäre relativ unproblematisch. Es kommen bloß zwei erschwerende Bereiche hinzu. Ersterer ist politischer Natur: Man wollte die Dreiteilung Wilhelmsburgs (1. Reichsstraße, 2. S-Bahn und 3. Autobahn) auf eine Zweiteilung reduzieren, indem man Reichsstraße und S-Bahn zusammenlegt. Durch die U-Bahn wäre dieses Versprechen passé und der anvisierte Wohnungsbau würde behindert. Das könnte man ggf. noch mit anderen Aspekten abwägen und trotzdem machen. Das Hauptproblem ist aber die Route. Die Strecke würde nicht durchs Reiherstiegviertel verlaufen, käme von Kirchdorf Süd noch weiter entfernt als die S-Bahn und ein Umstieg bei der Wilhelmsburger Mitte wäre nicht möglich. Damit würde sich die räumliche Erschließung für die beiden Quartiere kaum bis gar nicht verbessern, obwohl genau dies das Ziel einer U4-Verlängerung ist. Man würde nur etwas Druck von der S-Bahn nehmen, die parallel verläuft, aber schneller wäre. Viel Grund zum Umstieg gibt’s also nicht und die Entlastungseffekte sind überschaubar. Gleichzeitig wäre eine SPNV-Anbindung des Siedlungsschwerpunktes Reiherstiegviertel sowie eine Verbesserung für das sozialschwache Kirchdorf Süd damit für Generationen verbaut. Kurzum: Nette Idee. Vielleicht kann man Teile davon auch berücksichtigen. Aber das wären viele Wenns und Abers. Zur Veranschaulichung: Die U4 würde ab Veddel zum südlichen Spreehafen fahren, das Reiherstiegviertel durchqueren, bei der S-Wilhelmsburg einen Umstieg schaffen und die südliche Hälfte (durch das igs-Gelände) zügig auf der besagten Reichsstraße durchfahren und die Harburger Schloßinsel anbinden. Für Kirchdorf Süd schafft man eine Haltestelle zwischen S Harburg und S Wilhelmsburg, ggf. auch einen Straßenbahnanschluss. Aber das sind mindestens zwei Verkehrssysteme auf einmal, der Tunnelbau wäre weiterhin nötig und Synergieeffekte wären nur teilweise vorhanden.
Neue Liberale und Bologna
Und nun zum letzten Thema. Und vorweg: Ich hab nichts gegen die Partei, nur weil ich sie mir nun ein zweites Mal kritisch vorknöpfe. 😉 Im Gegenteil. Auf dem Hamburger Wahlzettel ist mir wohl keine Partei sympathischer derzeit. Gerade deshalb verfolge ich das Thema aber auch recht intensiv.
Und genau genommen wollte ich über die Partei gar nicht groß schreiben. Mir hat ein guter Freund, der Partei-Mitglied ist, bloß vorhin erst eine Antragsliste für das Bundesparteiprogramm (nennt man das so?) gezeigt. Und natürlich ist ein Antrag noch keine Forderung. Vielleicht kriegt er nicht einmal 1% Zustimmung und ist so oder so nicht repräsentativ. Dennoch stich mir eine Forderung extrem unangenehm ins Auge und kommt mir ansonsten nur von WELT.de-Leserkommentaren bekannt vor.
Jedenfalls ging es in einem Antrag um etwas, was nicht einmal die AfD fordert: Bachelor und Master komplett einstampfen und zu Diplom sowie Magister zurückgehen. Leider zeigen jene, die sowas fordern, dass sie vom Hochschulwesen gar keine Ahnung haben.
1. Ist Hochschulbildung in Deutschland Thema der Länder. Der Bund stellt da höchstens unverbindliche Plattformen (z.B. KMK) und Empfehlungen.
2. Ein solcher Schritt würde die Isolierung Deutschlands im Europäischen Hochschulraum bedeuten, der nicht nur die EU28 umfasst, sondern bis nach Wladiwostock geht, inkl. der Türkei, der Schweiz, Norwegen etc.
3. Die Argumente zeigen, dass die Autoren gar nicht wissen, was die Bologna-Reform eigentlich beinhaltet. Sie bemängeln Anwesenheitspflichten, die gar nicht Teil der Reform sind, sondern den Ländern bzw. autonomen Hochschulen unterliegen. In NRW wurde gerade erst verboten, für Vorlesungen (nicht aber Exkursionen, Seminare etc.) die Anwesenheit zu prüfen, wie es zu Diplomzeiten getan wurde.
4. Es wird eine „Verschulung“ bemängelt ohne zu sagen, was damit gemeint ist. Dagegen berichten z.B. Absolventen der Ingenieurwissenschaften, die sowohl zu Diplom- als auch Bachelor/Master-Zeiten studierten, dass die Lehrveranstaltungen weniger verschult seien. Woran liegt’s? Richtig, an den Prüfungsordnungen und Professoren. Und nicht daran, ob man von CP statt SWS spricht, um einen ungefähren Arbeitsaufwand abzuschätzen.
5. Sie sehen ein verkürztes Studium an Universitäten, obwohl über 3/4 der Studenten den Master (oder PhD) als Regelstudienabschluss hat. An Fachhochschulen ist es weniger, aber da wurden achtsemestrige Diplom-Studiengänge auch in der Regel durch achtsemestrige Bachelor-Studiengänge abgelöst. Wenn davon immernoch über 50% den Master machen, studieren sie in der Regel länger als ihre Vorgänger.
6. Wer tatsächlich nostalgisch wird und z.B. aus den Naturwissenschaften kommt, kann sich gerne mal etwas genauer zurückerinnern. Falls da große Lücken sind, empfehle ich das hier: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/kritik-an-der-akkreditierung-ist-falsch-sagt-hans-joerg-jacobsen-a-895170.html
7. Man kann ja gerne Magister und Diplom auf einen Masterabschluss kleben, wenn man meint, damit würde etwas besser. So machen es beispielsweise die Österreicher. Wer an der TU Wien seinen Master macht, der kriegt den akademischen Grad Dipl.-Ing. verliehen. Und auf der Abschlussurkunde steht auch gleich auf Englisch, dass es sich um einen Abschluss handelt, der gleichwertig und -artig mit dem Master of Science ist. Das ist für die Mobilität auch gut, da jeder Dipl.-Ing, der man ins Ausland ging, aufgefalen sein sollte, dass diese vermeintliche Marke völlig unbekannt ist. Was einen guten Ruf hat, ist das deutsche Ingenieurwesen, ob Lehre, Forschung oder Wirtschaft. Der Ruf verpufft nicht, nur weil nun jemand an der TU München fünf Jahre Maschinenbau zum M.Sc. statt zum Dipl.-Ing. mit den selben Professoren und Inhalten studiert hat. Vermutlich wird er’s sogar einfacher haben, da gerade im angelsächsischen Raum beim „Diplom“ gerne ans „diploma“ gedacht wurde, was eher einem (Fach-)Schulabschluss entspricht statt einem akademischen Grad. Auch die führenden TU9 wollten lediglich ihre „Marke“ behalten, aber doch nicht die Studienstruktur wieder um Jahrzehnte zurückwerfen, wo Hochschulen und Studenten viel weniger Gestaltungsspielraum bei der Lehre hatten als heute. Ob das gleichzeitig auch gut für einen zukünftigen Beruf ist, ist doch kein k.o.-Kriterium, sondern auch begrüßenswert. Oder soll die Lehre künstlich verschlechtert werden, damit man etwas Wirtschaftsschelte betreiben kann? Wofür haben denn früher Studenten Medizin, Jura, Lehramt, Elektrotechnik, BWL, Linguistik oder gar Theologie studiert? Natürlich taten sie’s, um einen bestimmten Beruf(szweig) anzustreben. Soll man sie heute daran hindern und nur noch so viele Studienplätze anbieten, wie es Jobs in der Wissenschaft gibt? Soviel zum Thema Bildung, freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie Eigenverantwortung. Nur die Partei weiß, was junge Menschen wollen dürfen.
8. Es wird einfach behauptet, dass die Qualität zurückging. Als Begründung sagt man, dass der Wissenschaftsrat keine flächendeckende, „ersichtliche“ Steigerung feststellte. Sprich, wenn es keine große Steigerung gab, gab’s eine immense Verschlechterung? Wer hat da denn im ersten Semester bei der Einführung in die Argumentationstheorie nicht aufgepasst, sondern seine „Freiräume“ mit Wahlplakaten zugebracht? Das ist einfach nur eine populistische Behauptung, die durch nichts gestützt wird. Und wenn sich ein Bundesland aus der Finanzierung zurückzog oder steigenden Studentenzahlen nicht Herr wurde, dann hat das auch wenig damit zu tun, dass wir ein dreistufiges Abschlusssystem haben und in Europa die Abschlüsse gegenseitig problemlos anerkennen. Aber lieber stellt man mehrere falsche Prämissen auf und präsentiert dann auch noch eine unschlüssige Konklusion, um seine Forderung aus niederen Beweggründen zu untermauern.
9. Es wird eine Prüfungsdichte beklagt. Und die gab es vielerorts nach der Umstellung in der Tat durch übereifrige Professoren. Das ist aber an den Hochschulen seit Jahren kein Thema mehr. Und wenn doch: Dann ändert es halt! Kein Bologna-Abkommen sieht vor wie viele Prüfungen zu belegen sind. Genauso wäre es kein Problem, wenn man fließend vom Bachelor zum Master übergeht ohne sich neu bewerben zu müssen und ggf. keinen Platz bekommt. Das wird in vielen Ländern bereits praktiziert, z.B. für die Medizin in den Niederlanden oder das Lehramt in Finnland. Da schreibt man nach sechs bis acht Semestern halt eine Bachelor- statt Studienarbeit, kriegt den Abschluss automatisch verliehen und hat zwei bis vier Semester später seine Masterarbeit; quasi analog zu einem Gymnasiasten, der nach der zehnten Klasse die Mittlere Reife erhält. Ist möglich. Wieso die Landespolitik in Deutschland dies nicht machen, wäre die eigentliche Frage. Und da ist Bologna ebenfalls kein Grund, so bequem es auch erscheinen mag, einfach monokausal jedes (vermeintliche!) Problem mittels „cum hoc ergo propter hoc“ auf dieses Schlagwort abzuwälzen. Sonderlich innovativ und „akademisch“ ist es aber nicht.
und 10. ist es ja schön, wenn man mit Humboldt, Freiheit der Lehre, Akademisches Verständnis und anderen Begriffen um sich schmeißt. Das taten Menschen auch schon, als Diplom-Abschlüsse eingeführt wurden und die grauhaarigen Professoren keine Veränderungen mehr kurz vor der Pension wünschten. Der Aufschrei kam auch, als man Technische Hochschulen zu Technischen Universitäten weiterentwickelte. Oder als aus Ingenieurschulen Fachhochschulen wurden. Überall ging es nur um ein unsachliches „Früher war alles besser“ ohne handfeste Argumente. Komisch, dass jene, die (noch) auf Diplom bzw. Staatsexamen studier(t)en, ihre Studienzeit bzw. -strukturen als das Nonplusultra ansehen, während sie exakt so argumentieren wie jene, die diese Strukturen vor Jahrzehnten ablehnten und den vorherigen Status Quo als die eierlegende Wollmilchsau ansahen, zu der heute aber auch niemand mehr zurück will. Gleichzeitig schaut man verächtlich auf den angelsächsischen Raum, der nicht nur in der Forschung weltweit führend ist, sondern auch in der Lehre, wo man sich mit den Liberal Arts und studium generale viel mehr an Humboldt orientiert als es die deutschen Hochschulen seit der NS-Zeit tun und die Diplom-Einführung dem nicht entgegensteuerte. Im Gegenteil. Dabei wird auch vergessen, dass sich Bachelor und Master längst etabliert haben unter jenen, die regelmäßig damit zu tun haben. Anfängliche Vorurteile mag es gegeben haben, aber das ist auch Schnee von gestern, den man nicht in einem gut gehüteten Gefrierfach aufbewahren und bei Bedarf herausholen muss.
Wichtiger als alle paar Jahre das ganze System umzukrempeln ist es weiterhin, dass sich erstmal alles einspielen kann, dass man sich um Finanzierung und Einsatz der Mittel kümmert, dass man moderne Lehrmethoden nicht erst nach 20 Jahren einführt, dass man eine vernünftige Betreuung hinbekommt und dass die Forschung nicht zu kurz gerät. Aber „Scheiß Bologna!“ ist natürlich einfacher im Bund zu brüllen, statt sich mit den Ländern und Hochschulen mal genauer auseinanderzusetzen und die eigenen Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen. Da wundert es nicht, dass man der populären Versuchung nicht widersteht, mehr Einfluss vom Bund zu fordern. Alle stellen fest, dass der Bund offenbar zu viel Geld hat und es deshalb Zeit wäre, in die dauerhafte Hochschulfinanzierung einzutreten. Niemand fragt sich, wer der Träger des Bundes laut Grundgesetz überhaupt ist, warum die Länder über zehnmal so viele Staatsbedienstete haben und welche Finanzämter eigentlich das Geld eintreiben. Niemand fragt sich, warum Wettbewerb (und sei es nur um voneinander zu lernen) sinnvoll ist, ob die größte administrative Ebene tatsächlich immer am besten über lokale Strukturen bescheid weiß und ob Bayern und NRW wirklich unfähiger sind als Österreich und die Niederlande. Folglich komm auch niemand auf die Idee, dass der Bund auch einfach den klammen Ländern mehr Geld bei sich lassen könnte statt mit dem Geld, das die Länder einholen, seine Kompetenzen immer weiter auszubauen. Nicht einmal in Hamburg fällt es auf, wo 80% der Steuereinnahmen an Bund und andere Länder wandern.
Aber das betrifft, wie gesagt, nur am Rande die Neuen Liberalen, wo nur einer von etlichen Anträgen unüberlegt war. Und selbst wenn er durchkommt, wird das meine Meinung zur Partei nur minimal ändern. Gerade letzteres (Hochschulfinanzierung durch den Bund mit Kompetenzerweiterung) ist ja bei allen Parteien von Linke bis CSU vertreten; zumindest — oh Wunder! — in den Bundesverbänden. Sollte man nicht überbewerten, auch wenn ich mich mal auskotzen wollte und einige Punkte einbrachte, die selbst im besagten Antrag nicht vorkommen, sondern in der öffentlichen Debatte der letzten Jahre immer mal wieder.